1946 – Präludium
Nach der Währungsreform 1948 entstand durch wirtschaftliche Nöte – das Land Niedersachsen zog sich 1949 zu Gunsten der Gründung des Niedersächsischen Sinfonieorchesters in Hannover aus der Finanzierung zurück – akuter Handlungsbedarf. Erste Gespräche über den Zusammenschluss der Nordwestdeutschen Philharmonie in Bad Pyrmont mit dem Städtischen Orchester Detmold oder dem Philharmonischen Orchester Bielefeld mit dem Ziel eines einzigen großen und „leistungsfähigen, für den ganzen Regierungsbezirk zuständigen Orchesters“ (Erlass der Kultusministerin Teusch vom 24. Oktober 1949) verliefen allerdings ergebnislos.
1950 (I) – Die eigentliche Gründung
Am 4. Mai 1950 wird unter dem Vorsitz von Regierungspräsident Heinrich Drake der Beschluss gefasst, in Herford ein Sinfonieorchester und in Detmold ein „Landesverbandstheater“ zu etablieren. Bereits am 18. Juli begründen die Städte Herford, Detmold, Paderborn, Lemgo, Bad Salzuflen, Bad Lippspringe und Bad Oeynhausen zusammen mit dem Landkreis Herford und dem Landesverband Lippe den Trägerverein Städtebund-Symphoniker, Sitz Herford, e.V., in dem die Nordwestdeutsche Philharmonie in Bad Pyrmont und das Herforder Symphonisches Orchester vereint wurden.
Am 10. Oktober 1950 trat der neue Klangkörper unter dem Namen Städtebund-Symphoniker mit seinem ersten Konzert im Schützenhof Herford unter der Leitung von Rolf Agop, dem Chefdirigenten sowohl des Pyrmonter und auch des neuen Herforder Orchesters, auf. Nachdem der alte Bad Pyrmonter Orchesterverein im September 1951 den Namen freigegeben hatte, konnten Orchester und Trägerverein den bis heute gültigen Namen Nordwestdeutsche Philharmonie übernehmen.
1950 (II) – schwierige Startbedingungen
Die 1950er Jahre
Rund 70 bis 80 Unterhaltungskonzerte pro Saison hatte das Orchester über die abendlichen Sinfoniekonzerte hinaus bis Mitte der 1970er Jahre im prosperierenden Kurbad Salzuflen zu absolvieren und durch die wieder aufblühende Chorarbeit wurde die Begleitung der regionalen Oratorienchöre eine wichtige Aufgabe. Gereist wurde im Bus mit einem Anhänger an Stelle eines Instrumentenwagens – die Rüstzeiten am Aufführungsort geduldig abzuwarten galt es für die Orchestermitglieder noch bis Mitte der 1960er Jahre. Außer den Chefdirigenten Rolf Agop, Wilhelm Schüchter und Hermann Scherchen sind die vertraglich gebundenen Dirigenten des ersten Jahrzehnts Heinz Schlüter, Eugen Pabst, Albert Grünes und Kurt Brass zu nennen.
Neben einer umfänglichen Konzerttätigkeit waren Produktionen für Rundfunkanstalten und Schallplattenindustrie von Anbeginn ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit der Nordwestdeutschen Philharmonie. Der Livemitschnitt aus dem Herforder Schützenhof 1952 war der Startschuss für die Zusammenarbeit mit dem damaligen Nordwestdeutschen Rundfunk, ein Vertrag mit der Schallplattenfirma Electrola ermöglichte von 1954 bis 1960 die Einspielung von – vornehmlich unter Wilhelm Schüchters Leitung – über 200 Schallplatten mit sinfonischen Werken u. a. von Beethoven, Tschaikowsky, Mozart, Haydn und Schubert.
1959 – Beginn der Rundfunkaufnahmen mit dem WDR und Radio Bremen
1961 – Gebhard Redlin wird Geschäftsführer
Ab 1964 konnte die Vergütung an das damalige Tarifwerk TOK angeglichen werden, 1965 verbesserten sich die Arbeitsbedingungen durch die Anschaffung eines eigenen Instrumentenwagens.
1963 – Chefdirigent Richard Kraus
1964 nahm der WDR mit einer fünftägigen Produktion unter Franz Marszalek sein Engagement im Programmbereich der Unterhaltenden Musik in der im Vorjahr eingeweihten neuen Konzerthalle in Bad Salzuflen auf, aus dem sich eine enge Zusammenarbeit über 25 Jahre entwickelte.
Die 1960er Jahre - Konzertreisen
1972 – Podium junger Solisten
Die 1970er Jahre
Der Westdeutsche Rundfunk verfolgte ab den 1970er Jahren die Regionalisierung seines Programmangebotes und positionierte sich 1974 in Ostwestfalen-Lippe mit dem Festival Tage der unterhaltenden Musik und setzte damit auch einen Höhepunkt in der Zusammenarbeit mit dem Staatsbad Salzuflen. Bekannte Protagonisten dieses Genres waren neben den Dirigenten Richard Müller-Lampertz, Franz Maszalek und Heinz Geese sowie später auch der WDR-Redakteur und Moderator Dirk Schortemeier, populäre Stars der Unterhaltungsszene wie u.v.a. Ivan Rebroff, Rita Streich, Heinz Hoppe, Peter Kreuder, Ilse Werner, Willy Schneider und Günter Wewel.
1977 trat das Orchester mit János Kulka im Rahmen einer Tournee nach Süddeutschland, in die Schweiz und nach Österreich wieder einmal im Großen Festspielhaus in Salzburg auf.
1979 führte eine Vier-Länder-Tournee, wieder mit Kulka und u. a. dem Pianisten Bruno Leonardo Gelber, über einige Stationen in Süddeutschland nach Dornbirn, Biel und Colmar, für die das Orchester viel Anerkennung der jeweils lokalen wie auch der heimischen Presse erhielt.
Die 1980er Jahre
Im Februar 1989 wurde das neue Probenstudio feierlich eingeweiht; dieses eröffnete dem Orchester gute Bedingungen für die künstlerische Arbeit, zudem konnten im ehemaligen Probenraum erstmalig auch ein Sozialraum und ein Instrumentenlager eingerichtet werden. Im Frühsommer führte eine Tournee das Orchester erneut nach Süddeutschland, in die Schweiz und nach Österreich; zum Jahresende ermöglichte eine Budgetaufstockung, die in den 1980er Jahren aus finanziellen Gründen nicht besetzten Planstellen wieder zu aktivieren.
Die 1990er Jahre
1996 endete die Zusammenarbeit mit Radio Bremen, wodurch erneut Kapazitäten im Orchester freigesetzt wurden und weitere Möglichkeiten entstanden, sich über die bisherige Konzerttätigkeit hinaus auf dem Konzertmarkt zu bewegen. Beispielhaft seien hier die Open-Air-Konzerte mit den Tenören Plácido Domingo, Luciano Pavarotti und José Carreras sowie Tourneen mit den Sopranistinnen Montserrat Caballé und Lucia Aliberti genannt.
1997 gab es im Rahmen eines Orchesteraustausches mit dem Aarhus Symfonieorkest eine Tournee nach Dänemark, 1999 führte eine erste Überseereise nach Japan.
1998 trat Toshiyuki Kamioka die Nachfolge von Michail Jurowski an.
Die 2000er Jahre – Pfingstfestival, Wagner-Opern und Tourneen
2002 hob die Nordwestdeutsche Philharmonie mit Klassik zu Pfingsten ein eigenes Festival in der Konzerthalle Bad Salzuflen aus der Taufe, außerdem wurde mit der Gründung der Gemeinschaftsstiftung Nordwestdeutsche Philharmonie ein wichtiges Förderinstrument geschaffen. Ebenfalls in diesem Jahr begann die regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Frank Beermann, dem Klassiksommer Hamm und dem Richard Wagner Verband Minden, zu dessen 90. Jubiläum in Kooperation mit dem Mindener Stadttheater Der Fliegende Holländer von Richard Wagner inszeniert wurde. Es folgten Wagners Tannhäuser (2005), Lohengrin (2009), Tristan und Isolde (2012).
2015 begann mit Das Rheingold die vielbeachtete Produktion der Operntetralogie Der des Nibelungen, die jährlich fortgeführt und 2019 mit zwei Aufführungen des gesamten Zyklus‘ abgeschlossen wurde.
Unter der Ägide von Toshiyuki Kamioka (1998-2006) wurde das Orchester stark verjüngt – über 30 Musikerstellen wurden neu besetzt – und künstlerisch weiter vorangebracht.
Tourneen führten das Orchester 2002 nach Frankreich, in den Folgejahren mehrfach nach Spanien, Österreich, Belgien und in die Schweiz, 2008 erneut nach Japan, 2005 und 2012 in die USA und regelmäßig nach Italien und Holland. Livemitschnitte aus dem Amsterdamer Concertgebouw (2004), der Mechanics Hall in Worcester (USA, 2005), dem Auditorio de Zaragoza (2006) und dem Palau de Musica in Valencia (2011) liegen als CD-Veröffentlichungen vor.
2006 bis 2009 – ein neuer Stern am Dirigentenhimmel: Andris Nelsons
2008 wurde er zusätzlich Chefdirigent des City of Birmingham Symphony Orchestra. Seit 2014 ist er Chefdirigent beim Boston Symphony Orchestra, seit 2018 auch beim Gewandhausorchester Leipzig und dirigiert regelmäßig in den weltweit bedeutenden Musikzentren.
Die 2010er Jahre – ein fleißiges Orchester
2015 wurde auf einstimmigen Wunsch des Orchesters der Frankokanadier Yves Abel zum Chefdirigenten berufen. Abel, ein franko-kanadischer Weltbürger, setzte seine Programmschwerpunkte vor allem im französischen Repertoire und leitete das Orchester mehrfach auf Konzertreisen ins europäische Ausland.
Die 2020er Jahre – Aufbruch ins Ungewisse
Im Januar 2021 begann Jonathon Heyward sein Amt als Chefdirigent. Durch das Andauern der Corona-Pandemie verzögerte sich sein Start auf den OWL-Konzertpodien jedoch. Zunächst entstand im Mai 2021 ein Digitales Einstands-Videokonzert in Verbindung mit einer CD-Produktion (darauf Werke von Strawinsky, Elgar und Haydn). Ab August 2021 war er auch live zu erleben und hat Publikum und Orchester schnell durch überzeugende und kraftvolle Interpretationen und außerordentliche Bühnenpräsenz in seinen Bann gezogen. Es folgten bis 2024 insgesamt 72 Konzerte in 22 Städten, einige Auslandsgastspiele und CD-/Videoproduktionen. Im Sommer 2023 wurde er zudem Chefdirigent des Baltimore Symphony Orchestra und 2024 auch noch Künstlerischer Leiter des New Yorker Lincoln Center Festival Orchestra und verlängerte seinen Vertrag bei der NWD daher nicht über das Jahr 2024 hinaus.
Steckbrief
Standort
Sitz in Herford, Regierungsbezirk Detmold.
Region Ostwestfalen-Lippe
Ca. 2.100.000 Einwohner, wirtschaftlich gesunder Standort mit vergleichsweise niedriger Arbeitslosigkeit, überwiegend mittelständische Wirtschaftsbetriebe.
Träger
Nordwestdeutsche Philharmonie e. V.
Vollmitglieder des Trägervereins sind Kommunen der Region Ostwestfalen-Lippe,
Zuschüsse gewähren das Land Nordrhein-Westfalen und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe.
Personalstärke
78 Planstellen Musiker
7 Planstellen Verwaltung
2 Planstellen Orchesterwarte/Technik
Förderer
Gemeinschaftsstiftung Nordwestdeutsche Philharmonie und NWD-Freunde e.V.
mit dem Ziel der alleinigen Förderung der Nordwestdeutschen Philharmonie zur Qualitätssicherung und Verwirklichung besonderer künstlerischer Projekte.
Philharmonische Gesellschaft Ostwestfalen-Lippe (im Rahmen von Projektförderungen)
Standort
Sitz in Herford, Regierungsbezirk Detmold.
Aktivitäten
ca. 130 Sinfoniekonzerte im Jahr,
davon ca. 80% in Ostwestfalen-Lippe,
ca. 10% im übrigen Nordrhein-Westfalen,
ca. 10% im Rahmen von Deutschland- und Auslandstourneen.
Regelmäßige Produktionen für die Tonträgerindustrie.
Regelmäßige CD-Produktionen, z. Zt. liegen ca. 40 Einspielungen vor, in der über 60jährigen Geschichte des Orchesters wurden ca. 200 LPs produziert.
In jeder Spielzeit werden in der Region ca. 25-30 Konzerte für Schüler der Grundschulen und 8-10 Konzerte der Sekundarstufen durchgeführt, in denen jährlich ca. 18.000 Schülerinnen und Schüler erreicht werden, zusätzlich 30–35 Konzerte zur Instrumentenkunde von Kammerensembles in den Schulen vor Ort sowie Familienkonzerte.
Öffnung der Proben für Besucher, Schulklassen, Lehrerseminare, Dirigierklassen etc.
Förderung der Laienmusikarbeit durch Projekte wie „philharmonic open“ und Begleitungen von leistungsfähigen Chören der Region.
In der Rolle eines kulturellen Botschafters werden für die Region Ostwestfalen-Lippe regelmäßige Auslandstourneen durchgeführt, mit denen eine internationale Konkurrenzfähigkeit unter Beweis gestellt wird: